JIF2020: Leserinnenbrief Frauen afrikanischer Abstammung und Covid-19

Die Frauen afrikanischer Abstammung angesichts von Covid-19

(Antonia Ganeto, 28.04.2020) Die Pandemie Covid-19 hat weltweit zu Einschränkungen der ökonomischen und gesellschaftlichen Aktivitäten geführt. « Wir sind alle im gleichen Boot » behaupten manche, da weder die Hautfarbe noch ein gut gefüllter Geldbeutel vor dem Virus schützen. Allerdings verfügt das Boot über verschiedene Kategorien von Unterkünften : während man sich in der ersten über Untätigkeit und Langeweile beklagt, erleben die der zweiten und dritten Klasse eine nie dagewesene Krise. Das Virus bringt die sozio-ökonomischen Ungerechtigkeiten ans Tageslicht, von denen zahlreiche Frauen, unter ihnen diejenigen afrikanischer Herkunft, einen hohen Preis zu zahlen riskieren…

Anlässlich des Frauenstreiks vom 7. März hatte die Plattform JIF, der auch Finkapé, das Netzwerk von Menschen afrikanischer Abstammung angehört, beschlossen die bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen. An prominenter zweiter Stelle im Demonstrationszug, gleich hinter den Frauen aus dem Reinigungssektor, hat der Block der Frauen afrikanischer Herkunft das besondere Leid angeprangert, das auf ihre Hautfarbe zurückgeht. Dennoch werden Passagiere des « gleichen Bootes » uns fragen, warum wir auf die Besonderheit der Frauen afrikanischer Herkunft im Rahmen dieser Krise hinweisen.
Der Grund dafür : weil bereits in normalen Zeiten diese Frauen die psychische Belastung und die der Diskriminierung aus rassistischen Gründen kumulieren. Deshalb riskieren sie besonders den Auswirkungen der Pandemie ausgesetzt zu sein. Wenn nichts unternommen wird gegen die strukturellen Vorurteile, die sie erleiden, – über die sozialen Bedingungen, Herkunft und Sprachen hinaus – werden Sexismus und der gewöhnliche Rassismus nicht abnehmen. Weder während, noch nach der Ausgangssperre.
Die angekündigte Wirtschaftskrise droht in der Tat als Vorwand zu gelten, um diese Problematik noch stärker zu verdrängen. Um welche Problematik handelt es sich ? Ganz konkret geht es hier von dem schweigenden Hochziehen der Augenbrauen bis zu den Vorurteilen über die Kompetenzen einer Person afrikanischer Herkunft, der Diskriminierungen auf der Arbeit und bei der Wohnungssuche, des rassistischen Profiling durch die Polizei und der exotischen und sexuellen Stereotypen.
Was die schwarzen Hausangestellten, die schwarzen Haushaltshilfen, die schwarzen Krankenschwestern betrifft, bleibt zu befürchten, dass sie eine dreifache Bestrafung erleiden! Erstens : die Fortschreibung schlechter Arbeitsbedingungen wie zu Normalzeiten. Zweitens : verstärkt der Erschöpfung und der Krankheit ausgesetzt zu sein, der Angst den Virus zu erwischen oder weiterzugeben. Drittens : täglich ein Übermaß an normalem Rassismus zu erleiden, ein mögliches Misstrauen seitens der Patient*innen oder von Mitgliedern des Personals. In dem Zusammenhang bleibt zu unterstreichen, dass der Rassismus im Spitalbereich ein Tabuthema bleibt, eine Problematik, die stärker thematisiert werden muss, um sie besser anprangern zu können.

Die Prekarität als Verstärkungsfaktor

Zu den schutzbedürftigsten Personen gehören auch diejenigen, die vor der Ausgangssperre nur mit großer Mühe die beiden Enden zusammenbringen konnten. Zur Erinnerung : In Luxemburg leben 18,6% der Bevölkerung an der Armutsgrenze ; eine unannehmbare Situation für ein Land, das zu den reichsten der Welt gehört…
Bei näherem Hinsehen kann man feststellen, dass die Bürger*innen afrikanischer Herkunft, vor allem die Kapverdianer*innen, besonders stark von dieser Prekarität bedroht sind. Betrug 2015 der mittlere Stundenlohn 25,7 €, so verdienten die Kapverdianer*innen im Durchschnitt 13,7 €, die Portugies*innen 15,27 € und die Luxemburger*innen 28,81 €. Also zweimal mehr als ein*e Kapverdianer*in. Die Céfis-Studie von 2018 hat auch die starke ökonomische Verletzbarkeit dieser Gemeinschaft bestätigt, welche die wichtigste afrikanische Diaspora in Luxemburg darstellt. Die Hälfte davon verrichtet schwere, schlecht bezahlte Arbeiten von denen viele im Interim-Sektor angesiedelt sind.
Verschiedene kapverdianische Frauen riskieren also in vollem Ausmaß die Auswirkungen der Ausgangssperre zu erleiden. Ebenso wie diejenigen, die erst kürzlich in Luxemburg angekommen sind, nur begrenzte Kenntnisse der Nationalsprachen besitzen und keine andere Wahl haben als eine Arbeitsstelle im Restaurantgewerbe oder als versicherte oder unversicherte Hausangestellte zu finden. Diese prekären Situationen sind zu meistern so lange diese Frauen in einer Partnerschaft leben und mit Hilfe von zwei Löhnen die exorbitanten Wohnkosten bezahlen können.

Die Problematik der alleinerziehenden Mütter

Die Alleinerzieherinnen stellen eine besondere Risikogruppe dar während der Ausgangssperre. In Luxemburg haben die alleinerziehenden Familien zu 90 % eine Frau als Oberhaupt. Infolge der Pandemie haben viele von ihnen ihre Arbeit verloren, weil die Familien, bei denen sie angestellt waren, vorzogen auf ihre Arbeit zu verzichten. Aber auch für diejenigen, die weiterhin über ihren mageren Lohn verfügen, bleibt die Situation zu Hause schwierig.
Nehmen wir zum Beispiel die Situation der Kapverdianerin Estela1. Sie arbeitet 40 Wochenstunden bei sechs verschiedenen Arbeitgeber*innen, an drei verschiedenen Orten und benutzt als Fortbewegungsmittel den Bus. Ihre Arbeitgeber*innen haben ihr glücklicherweise geholfen den Antrag für Elternurlaub auszufüllen, sonst hätte sie kein Einkommen. Aber infolge des allgemeinen Home-schooling fühlt Estela, die tapfer und guten Willens ist, sich manchmal « überfordert ». Ohne Sprachkenntnisse und die notwendige informatische Infrastruktur, ist sie nicht in der Lage ihrem Sohn bei den Hausaufgaben zu helfen. Durch die Schließung der Betreuungsstrukturen ist sie auch gezwungen öfter einzukaufen um die Mahlzeiten zu kochen, die ihr Sohn in dieser Struktur eingenommen hat. Bei einem unqualifizierten Mindestlohn, einer Miete von 1280 € zählt jeder Euro und Essen ist für diese alleinerziehende Familie zur täglichen Herausforderung geworden.
Dieses Beispiel zeigt, unter anderen, dass die soziale und digitale Kluft, die allgemein schon besorgniserregend ist, sich durch die Ausgangssperre verschlimmert hat und damit langfristige Auswirkungen auf die schulische und sozio-ökonomische Zukunft dieser Personen hat.
Anstieg des normalen Rassismus ?
Eine kruziale Frage lautet : wie kann man die öffentliche Gesundheit schützen und gleichzeitig die fundamentalen Rechte aller Menschen im Kampf gegen den Coronavirus garantieren ?
Als Beitrag zu der Antwort auf diese Frage hat Michael O ‘Flaherty, der Direktor der EU-Agentur für Grundrechte, bereits mehrere Studien in verschiedenen Bereichen angekündigt. Darunter eine Untersuchung über die Einschränkungen im Rahmen der Pandemie im Zusammenhang mit Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung.

Es ist wichtig Lehren zu ziehen aus der Geschichte, aus den Konsequenzen von früheren Pandemien, wie z. B. Ebola und HIV, die zu einer Stigmatisierung und Diskriminierung von bereits sehr verletzlichen Gruppen geführt haben. Die unsicheren Zeiten, in denen wir leben, begünstigen die Suche nach einem Sündenbock…
Es ist also die Aufgabe der privilegierten Personen wachsam zu bleiben und eine starke Solidarität mit den Fragilsten und den Vergessenen unserer Gesellschaft zu zeigen. Begnügen wir uns damit um 20 Uhr zu klatschen? Oder fordern wir, mehr denn je, mehr Zeit, mehr Geld und mehr Respekt für alle Bürger und Bürgerinnen in Luxemburg?

Finkapé setzt sich mit Nachdruck für die zweite Perspektive ein. Für alle Frauen, besonders für die verletzlichsten und von der Prekarität am stärksten bedrohten Gruppen müssen wir weiterhin eine Unterstützung gewährleisten, verstärken und den neuen Bedürfnissen anpassen und gleichzeitig den Kampf gegen den strukturellen Rassismus durch Sensibilisierung in den Schulen und überall weiterführen.
Who cares? We care!

Antonia Ganeto
Sprecherin
Finkapé, Réseau Afro-descendant Luxembourg
Mitglied der Plattform JIF Luxembourg

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