Interview Elisabeth Naske

(erschienen im Cid-info 3-4 / 2007)

Seit drei Jahren lebt sie in Luxemburg. Vielen Luxemburgern ist sie nicht bekannt, denn sie verbringt die meiste Zeit hinter dem Schreibtisch und komponiert dort Auftragswerke für große Opernhäuser wie z.B. für die Wiener Staatsoper (UA ihrer Kinderoper „Die Omama im Apfelbaum“ nach Mira Lobe in der Saison 2006/2007). In der Saison 2007/2008 stehen ihre Opern Die feuerrote Friederike und Die rote Zora in Linz und Luzern auf dem Programm.

Bis jetzt wurde erst eines Ihrer Werke in Luxemburg aufgeführt, das aber mit großem Erfolg: das Kinderballett „Der selbstsüchtige Riese“ (Grand Théâtre, 18.2. 2006).
Den Cid-info-LeserInnen gewährt die Musikerin nun einen Einblick in ihre Kompositionswerkstatt.

Haben Sie bereits früh, in Ihrem Elternhaus, Musik lieben gelernt?

Ja, mein Vater war Musikmanager und dadurch war ich sehr viel im Konzert. Und bei uns zu hause haben alle musiziert. Meine Eltern und wir vier Geschwister haben alle ein Instrument gespielt. Die Musik war schon sehr spürbar, sehr präsent.

Können Sie sich an erste musikalische Eindrücke in Ihrer Kindheit erinnern?

Ja! Ich hab immer so bestimmende Stücke im Ohr gehabt, z.B. „Bilder einer Ausstellung“ (Mussorgsky) und „Peter und der Wolf“ (Prokofjew). Es ist so lustig, weil ich mir im Nachhinein überlegt hab, dass ich doch immer Komponistin werden wollte. Von meiner Ausbildung her bin ich Cellistin. Mit Komponieren hab ich erst sehr spät begonnen. Ich hab zwar immer wieder hineingehorcht an der Uni, aber es hat mich nicht interessiert. Und sehr spät hab ich es dann doch gemacht und wollte es offenbar schon immer machen. Ich hab als fünf- oder sechsjähriges Kind Klavier gelernt, und ganz am Anfang hab ich ein Stück komponiert. Es war im Grunde ein Mischung aus „Peter und der Wolf“ und „Bilder einer Ausstellung“. Ich hab mir Tiere im Wald vorgestellt, mir für jedes Tier eine Melodie einfallen lassen, und dazwischen gab es immer so einen Spaziergang. Das Stück gibt es aber nicht mehr. Es war das einzige Stück, das ich komponiert hab bis zu meinem 35. Lebensjahr! (Lachen)

Wieso hat es Sie dann doch nicht schon früher interessiert, Komposition zu studieren?

Das, was ich schreibe, ist keine „moderne Musik“. An der Hochschule lernt man aber „moderne Musik“. Ich mag „moderne Musik“ sehr, aber ich will sie nicht schreiben. Das widerspricht völlig dem, was ich musikalisch beim Komponieren suche. Wobei das auch nicht ganz stimmt. In meiner Musik kommt eigentlich alles vor, aber es kommt auch ganz Klassisches vor, meine ganze Musikvergangenheit verarbeite ich beim Komponieren. Bei der „neuen Musik“ ist es zwar auch so, bloß man hört’s nicht mehr. Bei mir hört man es noch ganz deutlich. (Lachen).

War es Ihre ganze Familie, die sie ermutigt hat, einen musikalischen Beruf zu ergreifen?

Ja, einerseits schon, ich bin schon sehr gefördert worden. Aber andrerseits auch wieder nicht. Ich hab mit vierzehn angefangen Cello zu spielen, davor hab ich Klavier studiert. Und dann wollt‘ ich Cello studieren. Mein Vater aber, der aus der Branche ist, hat immer gesagt, ich hätte zu spät angefangen. Und das hat mir ganz lang das Leben schwer gemacht. Und ich hätte es auch sicherlich nicht durchgezogen, wenn nicht meine Lehrer anders gedacht hätten. Das hat mir eigentlich das musikalische Leben gerettet. Irgendwann war es dann auch so, dass auch mein Vater sich gefreut hat, dass ich Musik studiert habe, aber das musste ich ihm erst beweisen. (Lachen)

Sie haben drei Kinder und Ihr Mann ist auch Musiker. Wird Hausmusik bei Ihnen zu Hause groß geschrieben?

Ja, ja. Wobei es aber viele Musikerfamilien gibt, in denen das Musizieren viel, viel intensiver betrieben wird. Bei uns ist das sehr freiwillig und sehr unehrgeizig. Die Kinder spielen teilweise sehr schön und sehr gern, aber ich pushe sie da überhaupt nicht. Gerade mit der Erfahrung, die ich selber gemacht habe.

Wie haben Sie Ihre eigenen Kinder an die Musik herangeführt?

Teilweise sind sie von selbst gekommen. Mein Sohn wollte Cello spielen, weil ich Cello spiele, er hat auch erst mal mit mir Unterricht gehabt. Das war aber nicht seine Sache, der ist jetzt Schlagzeuger. Meine ältere Tochter wollte Geige lernen. Die Jüngere wollte kein Instrument lernen, und da hab ich mir gedacht, ich möchte aber eigentlich, dass sie das jetzt lernt, und zwar möglichst früh. Je früher man das mitkriegt, desto mehr hat man es im Blut, dann wird es zur Selbstverständlichkeit.

Sie komponieren mit Vorliebe Musik für Kinder?

Ich bin irgendwie da hineingerutscht. „Das kleine Ich bin Ich“ ist mein allererstes Stück, das mir dann alles andere ermöglicht hat. Das war dann so erfolgreich, dass ich dadurch lauter andere Aufträge für Kinderproduktionen bekommen habe. Und dann hab ich mir gedacht: ich komponiere für Kinder, und dann geniere ich mich nicht, auch ganz einfache Melodien zu erfinden.

Das eine schließt das andere aber nicht aus. Ich bekomme auch viele Aufträge für Kammermusik. De facto verbringe ich aber im Moment die meiste Zeit mit Kinderproduktionen. Ich könnte aber zum Beispiel keine Symphonie schreiben, weil mir dazu nichts einfällt. Die Inspiration hängt absolut vom Rahmen und vom Thema ab: ich kann keine abstrakte Musik schreiben.

Ich hab ein sehr tolles Buch gelesen von einem amerikanischen Schriftsteller, und da hätte ich mir zum ersten Mal zugetraut, eine Oper für Erwachsene zu schreiben, und hätte auch einen Auftrag dafür gekriegt. Aber leider kommt es nicht dazu, weil wir die Rechte nicht kriegen.

Was schätzen Sie besonders am Kinderpublikum?

Das Kinderpublikum ist mir eigentlich das liebste Publikum, weil Kinder so spontan und direkt sind, weil es nicht dieses eingeübte Verhaltensmuster des Konzertpublikums gibt: Sind Musik und Interpreten bekannt, wird es gut gefunden, wenn es neu und unbekannt ist, dann ist man schon mal viel skeptischer. Und das alles fällt bei den Kindern weg! Und das Tolle ist, dass sie eben keine Vorurteile haben, auch nicht gegen Neue Musik. Wenn sie was damit anfangen können, reagieren sie spontan positiv, und sie reagieren schlecht, wenn das an ihnen vorbeigeht. Und das ist eigentlich ein ganz toller Parameter, der einem das Komponieren sehr leicht macht.

Meine Aufführungen sind aber eigentlich keine Kinderaufführungen, sondern bewusst Familienaufführungen. Ich möchte bewusst die Eltern genauso ereichen wie die Kinder. Sie lassen sich dann auch ganz leicht erreichen. Das ist wesentlich einfacher, als wenn ich jetzt für ein Neue-Musik-Publikum schreiben müsste!

Wie würden Sie selbst Ihre Musiksprache beschreiben?

Ich komme aus der Klassik und bin damit aufgewachsen. Da gibt es meine groβen Vorlieben, die ich immer im Hinterkopf habe… Es ist nicht so, dass ich so schreiben möchte wie ein Bach oder ein Schubert… Ich möchte aber eigentlich dieselben Tiefen erreichen. Das ist der höchste Anspruch, den ich nie erreichen werde, aber im Grunde geht es darum! Und die Musiksprache? Ich bin ein Kind meiner Zeit mit allem was davor war, aber nicht mit dem was nachher ist. Und ich hab auch keine Lust, ein neues Vokabular zu erfinden. Ich arbeite mit dem, was es gibt, auch mit dem, was das 21. Jahrhundert hervorbringt, und ich selber hervorbringe. Ich bediene mich ganz bewusst der traditionellen Mittel, sowohl was Instrumentation betrifft als auch Harmonien, Klang und Spieltechniken. Bei mir klingt ein Cello wie ein Cello mit allem was es kann. Also da darf auch drauf geklopft oder gekratzt werden, wenn das in einem Kontext ist, den ich gerade möchte, aber nicht per se.

Komponieren Sie anders, wenn Sie für Kinder schreiben?

Ich komponiere immer so, wie die Thematik es bei mir hervorruft. Wenn ich mir ein Thema suche, das für Erwachsene bestimmt ist, klingt es anders als wenn ich ein Thema für dreijährige Kinder wähle. Die Musik ist immer ganz von der thematischen Vorlage bestimmt… Wenn ich ein Grand Massacre komponieren würde, würde es auch dementsprechend klingen. Aber ich suche mir keine Themen, wo es nur um Mord, Totschlag und die Abgründe der Menschheit geht… Meine Themen sind nicht so negativ. Und danach richtet sich auch die Musik.

Was steht bei Ihnen musikalisch im Vordergrund, wenn Sie für Kinder schreiben?

Ich folge dem Thema. Das Thema ist Vordergrund. Und alles was das Thema transportiert, möchte ich dann in der Musik transportieren. Da nehme ich dann keine Rücksicht darauf, ob das Publikum aus Kindern oder Erwachsenen besteht, sondern ich lasse mich leiten von dem, was ich selber darin spüre…

Haben Sie musikalische Vorbilder?

Meine großen Lieben sind Bach und Schubert. Mahler ist auch wichtig für mich und gewisse Werke von Mozart. Und dann wechselt es immer. Im Augenblick interessiere ich mich für Oper, was ich eigentlich nie getan habe. Ich kenn‘ auch kaum Opernliteratur, weil ich es nie wollte… Barockopern bis „Fidelio“ haben mich immer angesprochen, aber danach hab ich schlicht weggehört. Das ändert sich langsam, aber eigentlich gar nicht so wirklich! (Lachen). Und insofern sind meine Opern ohne Vorbilder… Ich überleg‘ mir, was möchte ich vermitteln, ich möchte mich nicht an den Traditionen festhalten. Ich muss mir eine neue Art der Oper ausdenken, denn was ich höre, das gibt es nicht. Das ist so eine Mischung aus allem Möglichen. Es gibt auch zeitgenössische Komponisten, die ich sehr schätze, aber ihre Musik beeinflusst mich nicht wirklich…

Welches sind Ihre wichtigsten außermusikalischen Inspirationsquellen?

Die Natur. Ich komponiere zu Hause, aber aufgehen tut der Kopf leichter in der Natur. Dann auch ganz persönliche Erlebnisse, dort wo man angerührt wird, in welcher Form auch immer, das sind dann Dinge, die ich hinübertransportieren will in die Musik.

Dann wollte ich Sie auch auf das Thema Frau und Musik ansprechen. Was denken Sie allgemein über die heutige Situation der Komponistin? Sind Sie der Meinung, dass Komponistinnen im heutigen Musikleben gleichberechtigt sind oder benachteiligt werden?

Ich bin so quer einsteigend dazu gekommen. Ich wundere mich, dass es so wenige Komponistinnen gibt. Vielleicht werden es langsam mehr. Ich weiß es gar nicht. Aber im Grunde ist es wirklich eine männliche Domäne. Ich hab auch die Erfahrung gemacht, dass man überhaupt nicht ernst genommen wird, ich weiß jetzt nicht, ob das am „Frausein“ liegt, oder an meiner Geschichte, da ich ja tatsächlich keine akademische Komponistin bin. Ich kann mir aber vorstellen, dass es sich ändert. Es ist eine Form der kreativen Betätigung, und davon sind Frauen bestimmt genauso betroffen wie Männer. In der bildenden Kunst und Literatur gibt es das Gefälle nicht so…

Geschlechtsspezifische Vorbilder sind für die freie Entfaltung der kindlichen Kreativität extrem wichtig. Für musiktalentierte Mädchen ist es also sehr wichtig ist, Komponistinnen als mögliche Vorbilder kennen zu lernen. Dennoch ist es so, dass Werke von Komponistinnen generell im Konzertleben mit weniger als 1 % vertreten sind. Was denken Sie als Komponistin, aber auch als Mutter von musikalisch interessierten Mädchen, über diese Situation?

Das irritiert mich überhaupt nicht. Es ist nun einmal so, dass unsere Gesellschaft noch immer, aber ganz bestimmt bis zum 19. Jahrhundert komplett männlich dominiert war… Im Grunde ist alles, was in den letzten tausend Jahren hervorgebracht wurde, von Männern hervorgebracht worden. Das ändert sich erst langsam. Mir ist es völlig egal, ob ein Werk von einem Mann oder einer Frau geschrieben wurde, wenn es nur das transportiert, was es für mich transportiert. Ich hab mir nie gedacht, ich kann das jetzt nicht, weil ich eine Frau bin!

Andrerseits muss ich sagen, dass mein Erfolg sehr damit zusammenhängt, dass ich für Kinder schreibe, und dass es für Kinder nichts gibt. Wenn ich jetzt nach Donaueschingen1 gehen würde, dann würde mich kein Mensch auch nur irgendeines Blickes würdigen, das ist mir völlig klar. Ich hab durch Zufall eben diese Nische erwischt, die mir alles ermöglicht, was mich persönlich weiterbringt. Ich bin aber gar nicht fixiert darauf, nur als Kinderkomponistin zu gelten, aber es ist de facto so. Ich sehe das schon, dass das oft gering geschätzt wird, wenn man für Kinder schreibt. Für mich ist das aber mein Weg jetzt… Eigentlich wäre es doch toll, eine Astrid Lindgren der Musik zu werden. Das hat Format, jeder nimmt es wahr, und es ist keine Schande, zu sagen, es ist für Kinder, im Gegenteil!

Sie haben vor drei Jahren Ihren Wohnsitz nach Luxemburg verlegt. Luxemburgern wird nachgesagt, dass sie ziemlich verschlossen sind. Wie fühlen Sie sich in Luxemburg? Haben Sie das Gefühl, dass man Ihrem Wirken und Schaffen hier Aufmerksamkeit widmet?

Das braucht eine Zeit, bis man zur Kenntnis genommen wird, das ist ganz normal und ganz o.k. Das hat sich bis jetzt sehr gut entwickelt. Ich bekomme jetzt einen großen Auftrag vom OPL, mit einer carte blanche, wo ich machen kann, was ich will. Das sind die optimalen Bedingungen und das weiß ich sehr zu schätzen. Und die Zusammenarbeit mit dem Grand Théâtre ist ganz toll. Da bin ich sehr dankbar, ich hab eigentlich die besten Erfahrungen gemacht. Und was mein privates Dasein in Luxemburg betrifft: Dadurch, dass ich sehr viel arbeite und mich nicht integriere, das ist meine eigene Schuld, da kann ich jetzt den Luxemburgern keinen Vorwurf daraus machen. Ich verbringe meine Zeit mit Komponieren, und das ist mir auch noch nie in meinem Leben passiert, dass ich dermaβen asozial bin (Lachen). Aber ich hab im Moment so viel zu tun, dass es anders gar nicht geht. Und den Rest der Zeit kümmere ich mich um meine Kinder, das war’s dann. Es ist schon bisschen eine beschränkte Form des Daseins, das ich im Moment führe (Lachen).

Ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen viel Erfolg mit Ihren Kompositionen!

Das Gespräch führte Danielle Roster

1 Dort finden jährlich die Donaueschinger Musiktage statt, eines der bedeutendsten Festivals zeitgenössischer Musik.

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