Der neue Nationale Aktionsplan zur Geschlechtergleichstellung wurde am 17. Juli 2020 der Presse vorgestellt. Die sieben Prioritäten, zahlreiche Zielstellungen und mal mehr, mal weniger konkrete Aktionen bilden fortan den Fahrplan des Ministeriums für die Gleichstellung von Frauen und Männern und somit das zentrale Instrument der luxemburgischen Gleichstellungspolitik.
Der Aktionsplan wurde erstmals in einem partizipativen Prozess unter Beteiligung von Bürger*innen, NGOs und anderen gesellschaftlichen Akteur*innen ausgearbeitet. Auch das CID beteiligte sich an der Ideengebung in einer direkten Aussprache mit der Ministerin und einer schriftlichen Stellungnahme. Es freut uns zu sehen, dass die Mehrzahl der vom CID vorgeschlagenen Punkte in den Plan aufgenommen wurde.
Positiv hervorzuheben ist insbesondere das Einleitungskapitel des Aktionsplans, in dem viele gute, wichtige und zum Teil für das Gleichstellungsministerium neue Ideen und Analysen vor(an)gestellt werden. Viele dieser Überlegungen haben dann leider den Sprung in den Hauptteil nicht geschafft, wo man ihre Übersetzung in die Ziele und Aktionen des Plans größtenteils vergeblich sucht.
Die Bezugnahme auf die internationale und europäische Perspektive unterstreicht, dass Gleichstellungspolitik angesichts globaler Herausforderungen auch global gedacht werden muss, und dass Luxemburg als Mitgliedstaat der EU nicht nur nationale Verpflichtungen hat. Der Verweis auf die Aktionspläne der Regierung für emotionale und sexuelle Gesundheit , die Rechte von LGBTI Personen sowie die Erinnerung an die Verpflichtung zum Gender Mainstreaming in allen Ministerien lässt einen deutlichen Willen zum transversalen und vernetzten Denken seitens des Gleichstellungsministeriums erkennen. Es wäre nun allerdings wünschenswert zu erfahren, wie die verschiedenen Ministerien Rechenschaft über die Umsetzung des Gender Mainstreaming-Ansatzes ablegen müssen.
Die Feststellung, dass die Gleichstellung der Geschlechter für alle Menschen in ihrer Diversität, einschließlich z.B. Geschlechtsausdruck, sexueller Orientierung, Religion und ethnischer Zugehörigkeit, erreicht werden muss, lässt auf einen Mentalitätswechsel und das Bekenntnis zu einer intersektionalen Perspektive hoffen – ohne die unserer Überzeugung nach Gleichstellung nicht erreicht werden kann. Leider wurde der intersektionale Ansatz nicht nur nicht zu Ende gedacht – sozioökonomische Aspekte wie Einkommen, Familienstand und soziales Milieu werden z.B. gar nicht aufgeführt. Die intersektionale Perspektive fehlt vor allem gänzlich in der Ausführung der Maßnahmen und Aktionen.
Auf die Einleitung folgen die sieben Prioritäten der aktuellen Gleichstellungspolitik, welche teilweise fließend ineinander übergehen. Hervorzuheben ist der übersichtliche Aufbau des Plans, unterstützt durch ein ansehnliches Layout.
Für jede Priorität gibt es näher ausgeführte Zielsetzungen und Aktionen. Dabei finden sich viele gute Ansätze und Ideen. Leider fehlt es aber insgesamt an konkreten Vorstellungen zur Umsetzung. Die Zielstellungen der Aktionen sind größtenteils unklar formuliert, ihre Umsetzung ist weder überprüfbar, noch enthält sie eine eindeutige zeitliche Dimension. Auch wird oftmals nicht deutlich, an wen die Maßnahmen sich richten und von wem sie umgesetzt werden sollen. Attribute eines „SMARTen“ Projektmanagements, die man sich bei einem Aktionsplan wünschen würde!
Wir freuen uns sehr über die Anerkennung des Einflusses von Sprache auf unser Denken und Handeln und das damit einhergehende Ziel, sexistische Sprachpraktiken wie die Verwendung der Anrede „Mademoiselle“ abzuschaffen und zu einem geschlechtsneutralen Sprachgebrauch anzuregen (Maßnahmen 2.6 und 2.7). Auch hier würden wir uns aber konkrete und mutige Aktionen wünschen. Wie wäre es denn z.B. damit, von offizieller Seite ein Schreiben an alle öffentlich (teil-)finanzierten Einrichtungen, Vereine und Organisationen zu senden, mit der Erläuterung und Vorgabe, die Anrede „Mademoiselle“ aus der offiziellen Korrespondenz zu streichen? Und statt des Begriffs „nom de jeune fille“, den das MEGA zu Recht ersetzen möchte, schlagen wir einfach „nom de naissance“ vor. Nicht zuletzt kann das Ministerium selber mit gutem Beispiel vorangehen und das generische Maskulinum in Schriftverkehr und Dokumenten durch eine geschlechtsneutrale oder geschlechtsdiverse Nennung ersetzen. Solch einfache Mittel können bereits Wunder wirken und setzen überdies ein wichtiges und deutliches Zeichen.
Im Kontext der Bekämpfung sexistischer Werbung (Maßnahme 2.3) wünschen wir uns mehr Mut von Seiten des Ministeriums. Freiwillige Verpflichtungen und Sensibilisierungsbemühungen bestehen seit Jahren, ohne zum ersehnten Erfolg zu führen. Angesichts der eindeutigen Forschungslage über deren negativen Einfluss auf die Geschlechtergleichstellung wäre ein gesetzliches Verbot sexistischer Werbung angebracht.
Das CID begrüßt die Weiterführung des Global Media Monitoring Report (Maßnahme 2.4), welcher 2005 und 2015 vom CNFL und dem CID koordiniert wurde.
Gleichstellungs- und Sensibilisierungsarbeit muss bereits im Kindesalter ansetzen. Aus diesem Grund begrüßen wir die Wichtigkeit, die das Gleichstellungsministerium der Sensibilisierungsarbeit in der formellen und nicht-formellen Bildung einräumt. Hier nimmt der Aktionsplan sowohl didaktische Materialien und Spielzeuge als auch das Lehr- und Erziehungspersonal in die Verantwortung.
Neben der Verhinderung von stereotypen Darstellungen in neuem didaktischen Bildungsmaterial (Maßnahme 3.3), sollte auch bestehendes Material auf sexistische Klischees untersucht und ggf. ersetzt werden. Gleichzeitig sollte der Literaturlehrplan analysiert und ggf. angepasst werden Wie von der Vereinigung „Voix de Jeunes Femmes“ kritisiert, darf es nicht sein, dass Literatur von Frauen ein Randdasein auf dem Lehrplan führt oder sogar gänzlich fehlt.
Auch müssen wir leider das Fehlen der zentralen Forderung des CID feststellen: Die Integration von Inhalten der Gender Studies in die verpflichtende Basisausbildung aller Lehrkräfte, Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen, in Zusammenarbeit mit der Universität, IFEN, SCRIPT und SNJ. Die Sensibilisierung des pädagogischen Personals aufgrund freiwilliger Weiterbildung geht nicht weit genug, wenn über Klischees und Stereotype transportierter struktureller Sexismus nachhaltig bekämpft werden soll.
Uns fällt auf, dass der Aktionsplan ganz konkrete Änderungsvorschläge zu den Bildungscurricula der Schulen macht, etwa was die Lese- und IT-Kompetenzen aller Kinder angeht (Maßnahmen 3.1 und 3.2). In diesem Kontext würden wir uns über die Einführung von Care-Kompetenzen für alle in den Lehrplan freuen: kochen, putzen, flicken, waschen sind Fähigkeiten, über die alle Menschen in einer gleichberechtigten Gesellschaft verfügen sollten.
Wir teilen die Einschätzung des Ministeriums, dass stereotype Darstellungen bei Spielsachen die Gleichstellung der Geschlechter behindern (3.9). Wir denken allerdings, dass mit Sensibilisierungsmaßnahmen zunächst bei den Krippen, Maisons Relais und Vorschulen begonnen werden sollte, ehe man sich an den Verhandlungstisch mit Spielzeughersteller*innen und Ladenbesitzer*innen wagt.
Angesichts der löblichen Sorge des Ministeriums um die Gesundheit und das psychische Wohlergehen von Mädchen und Jungen (Maßnahme 3.6) finden wir, dass dieses Kapitel sich gut geeignet hätte, um auf die zentrale Bedeutung affektiver und sexueller Bildung für Kinder und Jugendliche einzugehen und konkrete Umsetzungsmaßnahmen zu erläutern.
Das vierte Kapitel zur Gleichstellung der Geschlechter im Berufsleben enthält viele gute Ideen, aber abermals leider keine bindenden Vorsätze. Die anstehende EU-Richtlinie über die Transparenz der Gehälter und die dahingehende angestrebte Diskussion um transparente Gehälter in Luxemburg sind vielversprechend. Ohne Kontrollen der ITM und Konsequenzen beim Verstoß gegen das Lohngleichheitsgesetz wird die tatsächliche Lohngleichheit aber noch lange auf sich warten lassen.
Sehr wichtig finden wir die fortbestehenden Bestrebungen, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Insbesondere im Hinblick auf die ungleiche Verteilung unbezahlter Care-Arbeit (in Luxemburg leisten Frauen doppelt so viel unbezahlte Care-Arbeit wie Männer), dem gravierenden Rentenunterschied zwischen Frauen und Männern (in Luxemburg haben 43 % der Frauen im Rentenalter lediglich Anspruch auf eine Mindestrente, bei Männern liegt dieser Prozentsatz bei 4,5) und dem enorm hohen Anteil armutsgefährdeter Alleinerziehender (davon 85% Frauen), über deren Erwähnung wir uns an dieser Stelle gefreut hätten, sind wir gespannt auf die konkreten Maßnahmen und Aktionen, um diesen Missständen angemessen zu begegnen.
Wir begrüßen die Anerkennung der zentralen Rolle der Gemeinden zur Erreichung von Geschlechtergleichheit (Kapitel 5). Wir sehen es als Chance, dass die Ministerin für die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern ebenfalls Innenministerin ist und werten es sehr positiv, dass sie sichtlich bestrebt ist beide Ressorts effizient zu verbinden. Über die Zusammenarbeit mit den Expert*innen vor Ort, wie bspw. dem REGA, sind sicherlich richtungsweisende Schritte möglich.
Auf dem nationalen Level enthält der Aktionsplan eine Reihe wichtiger Initiativen. Im Hinblick auf die aktuelle sanitäre Krise mit ihren vielfältigen Auswirkungen freuen wir uns über die geplante und dringend notwendige Analyse der Covid-19-Krise aus einer Genderperspektive (Maßnahme 7.2), die seit Beginn der Krise von feministischen Vereinigungen gefordert wird und hoffentlich helfen wird, eine Zunahme der Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu bekämpfen.
Das siebte Kapitel enthält weitere wichtige und gute Ideen, wie die Information der Bürger*innen über ihre Rechte und Pflichten in Gleichstellungsfragen (7.3), die Förderung von Parität in der Politik (7.4) und das systematische Anbieten von Weiterbildungen zu Gleichstellungsfragen für Bedienstete im öffentlichen Sektor (7.5). Auch hier bleibt allerdings offen, wie diese Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Wir würden uns in dieser Hinsicht mehr Mut zu verpflichtenden Maßnahmen wünschen, etwa eine Geschlechterquote für die zukünftigen Regierungen oder die Wiedereinführung von Gleichstellungskursen in die Pflichtausbildung der zukünftigen Staatsdiener*innen.
In Bezug auf die politische Betrachtung der häuslichen Gewalt wünschen wir uns einen Perspektivwechsel, durch den häusliche Gewalt als eine Form sexistischer, geschlechtsbezogener Gewalt neben anderen verstanden wird. Sexistische Gewalt im Arbeitskontext, im öffentlichen Raum und im Internet darf nicht als unwichtige Nebensache behandelt werden.
Wir waren übrigens verwundert, in diesem Kapitel über häusliche Gewalt auch die Themen „Prostitution“ und „Menschenhandel“ verhandelt zu sehen. Abgesehen davon erscheinen uns die Maßnahmen hinsichtlich Prostitution und insbesondere Menschenhandel wenig detailliert und wenig ambitioniert. Insbesondere der Umstand, dass Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostituierte ohne Aufenthaltsstatus durch quasi alle sozialen Netze fallen und deshalb dringend über mögliche Regularisierungen nachgedacht werden sollte, insbesondere angesichts der aktuellen Krise, hätte an dieser Stelle zwingend Erwähnung finden müssen.
Mit dem vorliegenden Aktionsplan betritt das Gleichstellungsministerium gleich in mehrfacher Hinsicht neue Pfade. Sowohl im Hinblick auf die partizipative Ausarbeitung, das moderne Design als auch die Erweiterung der Perspektive um einen globalen, intersektionalen Ansatz weist der Plan in eine gute Richtung.
Sehr positiv hervorzuheben ist die von vielen Seiten geforderte und nun geplante wissenschaftliche Aufbereitung von Statistiken über genderbasierte Gewalt und die Schaffung einer guten Datenlage zu genderrelevanten Themen mit Hilfe eines Observatoriums. Wir hoffen, dass schnell erste Resultate verfügbar sein werden. Wir begrüßen ausdrücklich die Unterstützung von genderrelevanten Forschungsarbeiten und den erkennbaren Willen des Ministeriums sich bei der Arbeit auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu basieren. Neben der Universität sieht sich das CID | Fraen an Gender hier als starke*r Partner*in.
Der Aktionsplan trägt sichtlich die Unterschriften vieler Autor*innen. Das ist gut im Hinblick auf die Diversität des Phänomens der Gleichstellung, die Vielfalt möglicher politischer Zugriffe und die Heterogenität der verschiedenen Zielgruppen und Akteur*innen. Die Gefahr dabei besteht allerdings darin, dass ambitionierte Zielsetzungen verwässert werden und konkrete Maßnahmen sich im Ungefähren verlaufen. Gegen diese Gefahr ist der Aktionsplan des Gleichstellungsministeriums leider nicht gefeit.
Viele Zielsetzungen lassen Mut und konkrete Vorstellungen darüber vermissen, wie eine gleichgestellte Gesellschaft aussehen soll. Viele Aktionen bleiben vage. Wir hoffen, dass hier nachgearbeitet wird.
Als Kompetenzzentrum für Geschlechterfragen begleiten wir das Ministerium auf diesem Weg natürlich auch weiterhin gerne und engagiert.
Das Dokument als pdf: Stellungnahme CID_ Plan action_2020
Der Aktionsplan als pdf: Plan-d-action-national-Egalite
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