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(jmz) THUG LIFE, Gangsterleben, zieht sich als Schlagwort gewordenes Thema durch Angie Thomas‘ Erstlingswerk The Hate U Give. Thug Life war in den 1990ern eine Hip Hop-Gruppe rund um Tupac „2Pac“ Shakur. Der war es auch, der dem Begriff eine weiterführende Bedeutung verlieh: „The Hate U Give Little Infants Fucks Everyone“, auf deutsch in etwa: der Hass, den du kleinen Kindern entgegenbringst, macht alle fertig. Dieser Slogan begleitet die Protagonistin, die 16-jährige Starr Carter, schon ihr ganzes Leben. Ihr Vater Maverick, ein Tante-Emma-Ladenbesitzer im schwarzen Viertel, Anhänger der Black Panthers und Fan von 2Pac, lässt die kleine Starr regelmäßig die Bedeutung von „Thug Life“ dozieren. Er ist ein solcher „thug“, ein ehemaliger Kleinkrimineller, der sich durch schwierige Verhältnisse gekämpft und den Sieg über „die Umstände“ davongetragen hat. Starrs Mutter Lisa ist der Prototyp der starken Frau aus dem ethnisch marginalisierten Arbeitermilieu: hochschwanger hat sie ihren High School-Abschluss gemacht, als Krankenschwester versorgt sie die Familie mit einem regelmäßigen Einkommen, und resolut hat sie es durchgesetzt, dass die drei Kinder auf eine gute Schule im „weißen Viertel“ gehen.
In ihrer Schule ist Starr, neben ihrem ein Jahr älteren (Halb-)Bruder Seven, als eine der wenigen schwarzen Schüler_innen eine Attraktion, der Inbegriff von „Coolness“, wie sie ironisch feststellt. Doch diese Coolness endet, wo die Auseinandersetzung mit dem alltäglichen Rassismus anfängt, von dummen Witzen bis hin zur Polizeigewalt, und nicht alle weißen Mitschüler_innen von Starr haben dafür Verständnis. Als Starr auf Tumblr ein Foto der verstümmelten Leiche des in den 50er Jahren ermordeten Emmett Till postet, kündigt ihr die beste Schulfreundin die Followerschaft. Dass ihre Begeisterung für den Prinz von Belair in einer biographischen Parallele begründet ist – wie Will wurde Starr von ihrer Mutter aus dem Problemviertel in Sicherheit gebracht, nachdem sie die Ermordung ihrer zehnjährigen besten Freundin mitansehen musste – lässt sie nicht einmal ihren (weißen) Freund wissen.
So führt Starr ein Doppelleben: In der High School verheimlicht sie ihre Herkunft soweit wie möglich, trainiert ihren Slang ab, verheimlicht ihren Wohnort „im Ghetto“ und nimmt an der Popkultur ihrer weißen Mitschüler_innen teil: Hier ist sie die Vorzeige-Schwarze, die es ihrer weißen Umgebung leicht macht, Rassismus und Bandenkriege in den Ghettos weit von sich zu schieben. Auch Zuhause ist Starr zwar „Big Mavs Tochter“, aber ansonsten kaum mehr verwurzelt. Die Bindung zu ihrem Kindheitsfreund Khalil hat sich gelockert, und mit Kenya, der Halbschwester ihres Halbbruders und Tochter des gewalttätigen Bandenbosses King, verbindet sie kaum mehr als die geteilte Eifersucht um den Bruder.
Das ist nun das Leben der 16-jährigen, als Khalil auf der gemeinsamen Heimfahrt von einer Party willkürlich von einer Polizeistreife angehalten und aus dem Auto gezwungen wird. Als er sich der verschreckten Starr zuwenden will, wird er erschossen.
Der Fall erregt die öffentliche Aufmerksamkeit, und Starr erlebt mit, wie Khalils Schicksal auf verschiedenen Seiten die unterschiedlichsten Reaktionen vervorruft: In der schwarzen Gemeinschaft überwiegen Empörung und der Ruf nach Gerechtigkeit. Die Polizei und bald auch viele Medien stellen hingegen heraus, dass Khalil ein Drogendealer gewesen sei. Starrs weiße Mitschüler_innen organisieren einen Protestmarsch in der Schule – um sich sich vor dem Unterricht zu drücken. Mittendrin versuchen Starrs Eltern, ihre Tochter mit allen Mitteln zu schützen und zu unterstützen.
Die wichtigste Entwicklung macht aber wohl Starr selbst durch: Sie versteht, wie die Wechselwirkungen aus Armut, Bandenkriminalität und Polizeigewalt ein System bilden, das sich selbst aufrechterhält und einen Rassismus legitimiert, der weitaus subtiler, weitaus stabiler und weitaus schmerzhafter ist, als die idealistische Teenagerin zuvor gedacht hatte. Schließlich erkennt sie, in ihrer eigenen Erfahrung, die wahre Bedeutung von THUG LIFE.
Dass Angie Thomas ihren Roman unter dem Eindruck der spektakulär gewordenen Tötungen schwarzer Jugendlicher durch Polizisten und der daran anschließenden Black Lives Matter-Bewegung in den USA geschrieben hat, ist offensichtlich und wird in einem sehr persönlichen Nachwort der Autorin bestätigt. Mit seiner lebendigen Sprache voll popkultureller Referenzen, seiner Authentizität und Klugheit verwundert es darum nicht, dass der Roman nach seinem Erscheinen im Frühling 2017 an die Spitze der New York Times-Bestsellerliste kletterte und herausragendes Lob in den Literaturzeitschriften erhielt – bei Jugendbüchern eigentlich selten. Bereits jetzt gilt er einigen als moderner Klassiker und Pflichtlektüre in Schulen.
Ob The hate U Give ein vergleichbarer Erfolg außerhalb der USA beschieden sein wird, bleibt abzuwarten. So oder so handelt es sich um ein engagiertes Buch, das dezidiert Stellung bezieht, ohne in die Falle der Schwarz-Weiß-Malerei zu tappen. Ein Buch, das Zusammenhalt, Respekt und Verantwortungsbewusstsein in der Familie und in der Gemeinschaft feiert.
The Hate U Give gibt es jetzt schon auf englisch im CID . Die deutsche Fassung erscheint am 24. Juli, übersetzt von Henriette Zeltner (empfohlen ab 14 Jahren).
(Dt: ctb- Henriette Zeltner, 512 Seiten, ; engl. Harper Collins – 444 pages)
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