Weitere schöne Rezension unserer Helen Buchholtz-CD!

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erschienen auf klassik-heute.com

Wir sind wohl alle hellhöriger geworden, was Frauenmusik angeht: Clara Schumanns 200. Geburtstag verpflichtet uns, Vorurteile gegen komponierende Frauen zu revidieren, weil wir so viele Meisterwerke aus Frauenhand durch die Geschichte überhaupt nicht recht wahrgenommen haben. Kein Wunder, dass so manche Komponistin aus früheren Jahrhunderten in ihrer ganzen Eigenart jetzt erst auftaucht. So auch das umfangreiche Lied-Œuvre der luxemburgischen Komponistin Helen Buchholtz (1877-1953), das in einer eindrücklichen, luxuriös ausgestatteten Edition des Labels Solo Musica erschien, produziert von der Organisation ‚Fraen an Gender‘, unterstützt vom Staat Luxemburg; denn mit Helen Buchholtz wird die luxemburgische Kulturlandschaft durchaus farbiger.

Sie war eine Stille im Lande und sprach lebenslang mit sich selbst in Musik, namentlich im Lied, aber auch instrumental in einer Vielzahl von Klavierwerken wie anderen Gattungen; die Lieder zumeist deutschsprachig auf zeitgenössische Lyrik, deren Qualität begrenzt war und von Zeitgeschmack gezeichnet, und so bevorzugt sie Gedichte von Anna Ritter (1865-1921), jener Säule der damals berühmten ‚Gartenlaube‘, deren Lyrik auch Max Reger immer wieder verfiel. Buchholtz‘ musikalischer Nachlass wurde gesichert und ist heute bei der Organisation ‚Fraen an Gender‘ zugänglich. Diese großbürgerliche Dame war wirtschaftlich unabhängig als Mitbesitzerin der väterlichen Brauerei, musikalisch autodidaktisch, später von lokalen Kräften unterrichtet – sie lebte nur ihrer Liebe, sprich: ihrer Musik. Spät heiratete sie einen viel älteren Mann, zog nach Wiesbaden, um dort am arrivierteren kulturellen Angebot teilnehmen zu können; nach dem frühen Tod des Gatten kehrte sie zurück in die Heimat und lebte im selbstgeschaffenen Idyll. Es zählte nur Kunst für sie, vornehmlich Musik – das alles sagt uns Danielle Rosters fundierter Text im Beiheft.

Alles an dieser Edition zeugt von Noblesse, was dem Gehalt entspricht; denn auch die Musik der Helen Buchholtz ist vor allem nobel, ohne Ecken und Kanten, ohne Anschluss an die aufregende Entwicklung der Musik zu ihrer Lebenszeit, ohne Reaktion auf die Umwelt, in sich versponnen, die Innerlichkeit pflegend und als Nachklang der großen Romantik sich stilisierend – ihre Themen? Nur sie selbst in ihrer Weiblichkeit, den zarten Regungen der Seele einer Einsamen, ausgeliefert ihren Sehnsüchten: Musik des goldenen Käfigs. Als solche sind die fünfundzwanzig Lieder fast tragische, in sich kreisende Dokumente – musikalisch schlichtweg immer schön, wenn auch monoton: sie nehmen die Außenwelt nicht wahr. Nur die selbstgemachte eigene. Und da offenbaren sich zauberhafte Nuancen, die viel über die private Seele aussagen, musikalisch individuell auch aussprechen – nur: sie sind nicht vergleichbar und sollen es nicht sein; weil man sie als feines psychisches Geäst nicht mehr wahrnimmt, wenn man die enorme Liedkunst jener Zeit nicht sogleich in sich zum Schweigen bringt: man darf an Brahms nicht mehr denken, geschweige denn Wolf, Mahler, Zemlinski, Schönberg, Berg, Webern, auch nicht an Richard Strauss oder Reger und Schoeck. Vergleicht man, dann vernichtet man die Kunst der Helen Buchholtz. Tut man es nicht, gewinnt man da und dort Freude an ihrem ‚Monotonismus‘ und lässt es sich kulinarisch gefallen. Kompositorisch gewinnt sie die zwingendsten Momente bei kurzen Texten, die künstlich das Volkslied zitieren und das Idyllische in Größe und Grenze, gerade auch in der Bedrohung, umsetzen wie eben die Gedichte Anna Ritters. Mühsamer ihr Umgang mit großen Textmengen wie in den Balladen, weil ihr eine deklamatorische Handschrift fehlt. Und mühsam auch, weil wie manisch, die permanente Attitüde, Verse als musikalisches Ausdrucksmittel zu wiederholen, zumeist die des Strophenendes.

Und doch: man hört Helen Buchholtz trotz allem gerne zu. Das verdankt sie nicht zuletzt ihren Interpreten. Mit Hingabe und Sorgfalt werden von der blinden deutschen Sängerin Gerlinde Sämann alle Register bemüht, diese Innerlichkeit zu vermitteln: bewegend durch und durch – bei glockenreiner Stimme, intonatorisch perfekt … eine bessere Künderin ihrer Einsamkeits-Musik und Sehnsuchtssprache hätte die Komponistin Buchholtz nicht finden können, im luxemburgischen Begleiter am Klavier ebenso: Claude Weber. Müßig zu kritisieren – das Dokument ist menschlich bedeutend, will nicht ästhetisch in den Topf des Bewertungs-‚ranking‘ geworfen werden. Manchmal leidet die Textverständlichkeit durch allzu instrumentale Führung der Stimme, jener Tendenz, Vokale zu groß klingen zu lassen und die Con-Sonanten klanglich auf der Strecke zu lassen, was heute im Gegensatz zur gesunden alten Belcanto-Tradition üblich geworden ist, bei Frau Sämann aber nur da und dort; ist auch nur deshalb merkbar, weil im unauffälligen musikalischen Geschehen der Hörer nach Sinn, damit nach textlicher Information, lechzt. Die Aufnahmetechnik hat da auch nicht geholfen, zu viel Hall spielt mit und das Klavier, so kundig und subtil es gespielt ist, nimmt manchmal in der Stärke überhand. Doch das nur nebenbei.

Das ändert nämlich nichts an diesem kostbaren Dokument des Rückblicks in die Tiefenschicht einer weiblichen Seele von damals, die lebenslang ‚der Welt abhanden gekommen‘ war und abhanden bleiben wollte, kurzum: privat. Und daraus Musik machte. Schöne Musik. Kein Anspruch auf mehr, auf Transzendenz – wie etwa bei Mahler. Reizvoll die Idee der Editoren, heutige Komponistinnen anzuregen, auf Helen Buchholtz heutig zu antworten, indem sie entweder dieselben Texte neu vertonen oder Reflexe dieser Musik komponieren (Tatsiana Zelianko, Catherine Kontz, Albena Petrovic-Vratchanska, Stevie Wishart – Komponistinnen mit Luxemburg-Bezug). Bezüge zur Quelle sind dabei kaum auszumachen, vielleicht am deutlichsten beim Stück auf französischen Text: Illusions von Petrovic-Vratchanska, die den Bezug musikalisch am radikalsten aussetzt. Diese heutigen Reflexe vermögen nicht, sich wirklich an Buchholtz‘ Kunst aktualisierend festzumachen. Und das ist gut so. Sie bestätigen eher deren Enklave als kurioses weibliches Zeitdokument. Und als solches museal bewundernswert, aber auch vollendet ‚vorbei‘ …

Georg-Albrecht Eckle [09.06.2019]

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