Zwei musikalische Blicke auf den Geiger von Echternach – Lou Koster (1889-1973) und Catherine Kontz (* 1976) im Dialog

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Das CID präsentiert sein neues Musikprojekt: Im September erscheint im deutschen Label OehmsClassics (Naxos) die CD Der Geiger von Echternach von Lou Koster. Das Werk war bisher nur in der Orchestration von Pierre Cao bekannt. Auf der neuen CD wird erstmals aus Kosters einzigem Manuskript in der Besetzung für Solisten, Chor, Violine und Klavier musiziert, dieses Manuskript befindet sich heute im Archiv Lou Koster. Interpreten sind das bekannte deutsche A-cappella-Ensemble Singer Pur, zusammen mit dem Pianisten Claude Weber und der Violinistin Sandrine Cantoreggi.

Das Release-Konzert der vom CID, CNA und Kulturhaus Mersch produzierten CD wird am 24. Oktober 2021 im Kulturhaus Mersch vorgestellt werden, und zwar in einem ganz besonderen Programm: Die Ballade von Lou Koster wird in einen Dialog gestellt mit Le Joueur de Vièle von Catherine Kontz. Le Joueur de Vièle ist eine Auftragskomposition des CID Fraen an Gender und steht in einem engen formalen und musikalischen Bezug zu Kosters Komposition. Beide Stücke werden ineinander verwoben. Catherine Kontz‘ Stück deutet den Stoff neu und kommentiert ihn aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts. Luxembourg Music Publishers wird den Geiger von Echternach gleich in vier Versionen veröffentlichen.
Singer Pur gibt – neben der CD Lou Koster – jetzt im Herbst gleich eine zweite Komponistinnen-CD heraus, die einen Querschnitt bietet durch mehrere Jahrhunderte eines überaus reichen Schaffens von Komponistinnen im Bereich der Vokalmusik.

©Romain Gritgen CNA

Claudia Reinhard:
Claudia, Singer Pur präsentiert im Herbst die Weltersteinspielung von Lou Kosters Klavierversion des Geigers von Echternach und befasst sich somit zum ersten Mal mit Musik und auch mit literarischem Stoff aus Luxemburg. Bei der Aufnahme in Dudelange sprühte das Ensemble nur so von Musizierfreude, gepaart mit intensiver musikalischer Feinarbeit an der Interpretation. Kannst Du erzählen wie Der Geiger von Echternach auf das Ensemble wirkt und auch zum Ensemble passt?
Die Musik gefällt uns sehr gut. Sie singt sich angenehm und ist teilweise so eingängig, dass man sie noch lange nach einer Probe oder einem Aufnahmetag im Kopf hat. Die Partitur passt richtig gut zu unseren Stimmen, und Christian hat ja alles nochmal gründlich überarbeitet und hervorragend eingerichtet. Die Texte sind teilweise etwas sperrig und einfach aus einer anderen Zeit, aber die ganze Dramatik des Stückes ist sehr inspirierend. Für uns als A-cappella-Ensemble ist es immer eine schöne Abwechslung, mit anderen Musiker*innen zusammen zu arbeiten. Die Proben mit Claude im Vorfeld und die Aufnahmetage haben uns ganz viel Freude gemacht.

Im Herbst 2021 veröffentlicht Singer Pur gleich zwei CDs mit Werken von Komponistinnen. Erzähl uns von dieser zweiten CD und von Eurem Bemühen um die Musik von Komponistinnen!
In heutigen Konzertprogrammen geben noch immer Männer den Ton an, Komponistinnen sind nur zu einem Bruchteil vertreten. Daher haben wir für unsere neue CD Among Whirlwinds ausschließlich Kompositionen von Frauen ausgewählt. Der historische Bogen beginnt im Mittelalter bei Hildegard von Bingen und führt über die italienische Renaissance, vertreten durch Maddalena Casulana, Vittoria Aleotti und Cesarina Ricci de Tingoli, und die Romantik, Clara Schumann, Fanny Hensel und Elfrida Andrée, bis hin zur Gegenwart. Unter den zeitgenössischen Komponistinnen finden sich die Isländerin Anna S. Þorvaldsdóttir und Kathryn Rose (Kanada/London) und Frauen aus den USA, Korea, Bulgarien, England, Spanien und Deutschland. Viele der modernen Stücke wurden speziell für uns komponiert oder arrangiert. Die Vielfalt spiegelt sich auch in der Stilistik wider: Moderne Klänge mit gesprochenem Text kombiniert wechseln sich ab mit Jazz, koreanischem Volkslied und zeitgenössisch-klangvoller Vokalmusik. Es ist ein wunderbares und stimmungsvolles Programm, das wir auch diesen Sommer mehrfach mit großem Erfolg in Konzerten präsentiert haben.

©Romain Gritgen CNA

Christian Meister:
Christian, Du hast den Vokalpart des Geigers von Echternach speziell für Euer Ensemble, Singer Pur, bearbeitet und Dich also in der Tiefe mit der Musik befasst. Wie blickst Du auf Kosters Geiger, was bedeutet Dir diese Musik?
Lou Kosters Musik hat mich schnell in ihren Bann gezogen! Ganz besonders war ich von dem Melodienreichtum und der dramaturgischen Anlage des Werks begeistert. Der Geiger von Echternach ist ein wahrlich berührendes Opus mit einer erkennbar reifen kompositorischen Handschrift. Das handschriftliche Particell bot ganz vielfältige Möglichkeiten, Kosters musikalische Substanz mit dem speziellen Klang von Singer Pur zu verknüpfen und anzureichern. Auch die Edition für Gemischten Chor, die im Zuge dieses Projektes erscheinen wird, bietet sicher vielen Chören und Ensembles Möglichkeiten, die mit Klangfarben und Ohrwürmern gespickte Musik des “Geiger von Echternach” zur Aufführung zu bringen!

Manuel Warwitz:
Bei Aufnahmen ergeben sich, beim feinen ‚Schleifen‘ an der Interpretation, rege Diskussionen über einzelne Musikpassagen und ihre Bedeutung. Was sind für Dich die Stärken von Kosters Musik und wo fordert Koster auch die Stärken Eures Ensembles heraus und bringt sie zum Leuchten?
Die Stärken von Lou Kosters Musik liegen meiner Meinung nach in ihrer musikalischen Vielfalt und ihrer großen Expressivität. Lou Koster bietet eine enorme Bandbreite an musikalischen Stilen auf, die sie handwerklich hervorragend umsetzt. Eindringliche, innige Szenen lösen sich ab mit fast eruptiven, emotionalen Ausbrüchen, dazwischen gibt es heitere, fast witzige Szenen, die Lou Koster musikalisch gekonnt ausleuchtet. Die größte Herausforderung für uns lag darin, dem uns eigenen, ebenmäßigen Mischklang treu zu bleiben und zugleich mit möglichst großer Textdeutlichkeit und Ausdruckskraft die einzelnen Szenen darzustellen.
Viele Melodien haben sich im Laufe der Arbeit in unseren Köpfen verankert, immer wieder einmal kam ein Mitglied unserer Gruppe mit einer solchen Melodie auf den Lippen zur Tür herein. Diese Eigenschaft von Lou Kosters Musik hat uns sehr dabei geholfen, die Musik mit Leben zu füllen und zum Leuchten zu bringen.

Claude Weber:
Mit dieser CD wird die Klavierversion von Lou Koster zum allerersten Mal eingespielt, anhand eines Manuskriptes, aus dem Lou Koster selbst mehrfach im privaten Rahmen musizierte und das sich heute im Archiv Lou Koster CID Fraen an Gender befindet. Koster war nicht nur Komponistin, sondern auch Konzertpianistin. Wie pianistisch ist denn diese Version aus der jetzt musiziert wird?
Das Besondere an dieser Version ist ja, dass sie zugleich als Vorstufe zur Orchesterversion geschrieben wurde, sich aber, wie es sich durch dieses Projekt gezeigt hat, auch eignet, als Klavierversion aufgeführt zu werden. Als langjährige Kino- und Kaffeehausmusikerin hatte Lou Koster ein großes pianistisches und stilistisches Repertoire, wenn es darum ging Stimmungen und dramatische Entwicklungen musikalisch umzusetzen. Das Ergebnis ist ein sehr abwechslungsreicher Klaviersatz, der die Geschichte des langen Veit in vielen Stimmungen und Farben ausmalt und pianistisch immer hervorragend funktioniert.

Catherine Kontz:
Catherine, bei der Komposition Le Joueur de Vièle hast Du Dich auf Lou Kosters Geiger von Echternach bezogen, Stück und Geschichte extrem reduziert, sowohl in Zeitdauer wie Besetzung, und in Deiner Sprache, wie ein antiker Chor, kommentiert. Was erwartet die Hörer*innen mit Deiner Musik am 24. Oktober?
Es ist spannend, dass in diesem Konzert mein Stück so eng ‚verstrickt‘ ist mit Kosters Partitur. Wir erzählen beide dieselbe Geschichte, aber meine Musik, ohne Text und reduziert auf Geige allein, wirkt abstrakter, meditativer. In diesem Kontext gebe ich so den Zuschauern zuerst Zeit sich auf die Geschichte vorzubereiten (am Anfang beginnen wir mit meinem Stück). Im Laufe der Geschichte kommt meine Musik dann eher als Kommentar und bietet eine Gelegenheit ein wenig zu verweilen und sich tiefer in die Geschichte hineinzuversetzen. Wie ein Zoom auf die innere Welt des Geigers, hört man in meiner Musik dann die Wut, die Wüste, die Trauer, das Tanzen.

Sandrine Cantoreggi:
Sandrine, auf der CD ist die Geige nur einmal, aber an entscheidender Stelle, mit einem Solo, zu hören. Beim Konzert in Mersch verkörperst Du den Geiger von Echternach in weiblicher Gestalt und spielst u.a. auch Le Joueur de Vièle von Catherine Kontz. Was bedeuten Dir diese Stücke von Koster und Kontz?
Die musikalischen Werke zweier luxemburgischer Komponistinnen, beide inspiriert von einem mittelalterlichen Thema und basierend auf einem Gedicht des luxemburgischen Schriftstellers Nik Welter, haben mich sofort angesprochen. Meine Großeltern mütterlicherseits fuhren jedes Jahr von Wiltz nach Echternach, um an der am Pfingstdienstag organisierten Prozession teilzunehmen. Und ich war ab meinem achten oder neunten Lebensjahr jährlich Teil des Abenteuers. Ich erinnere mich, wie ich, beeindruckt, das erste Mal abends erschöpft nach Hause kam und doch sofort nach meiner kleinen Geige griff, um die Melodie zu reproduzieren, auf der wir kilometerweit bis zur Basilika getanzt hatten. Mit dieser Melodie sind für mich viele schöne Familienerinnerungen verbunden.
Lou Koster hat ein langes und imposantes Oratorium geschrieben, in dem es mir scheint, als ob die Musik sich dem im Text beschriebenen Wort und der Handlung hingibt. Die Musik ist sehr farbenreich und die Wahl, die menschliche Stimme zu verwenden, ermöglicht es den extrem emotionalen Ausdruck der Geschichte zu bewahren. Die Musik dient als eine Art Hintergrund für die Dramaturgie des Textes.
Im Gegensatz dazu reduziert die Musik von Catherine Kontz die 32 Abschnitte des Gedichts auf das Wesentlichste. Sehr attraktiv ist immer für mich der Kontakt und die Interaktion mit lebenden oder auch vergessenen SchöpferInnen. Der Kontakt mit Catherine Kontz und ihrer fantasievollen Vorstellungs- und Erfindungskraft war auf Anhieb lebendig und anregend. Ihre Entscheidung, auf Lou Kosters Werk mit der einzigartigen Stimme einer Geige solo einzugehen, ist eine Herausforderung, die mich durch die Aridität, aber auch die Authentizität des Ansatzes fasziniert. Hier verfolgt der Interpret den Kreuzweg des Helden der Geschichte. So schwanken wir ständig zwischen den unterschiedlichen Perspektiven der beiden Komponistinnen und es ist, als ob wir aktiv oder kontemplativ an den geschilderten Szenen teilnehmen. Bei Lou Koster ist das Violinsolo dramatisch und ausdrucksstark im Zentrum der Handlung, während ich bei Catherine Kontz aus der Geschichte heraustrete, um eine Legende, das Schicksal des Helden, zu betrachten oder zu kommentieren. Ich bin wie ein Satellit, der sich um das Objekt dreht, um es zu beobachten, ohne auf die definierte Flugbahn einzugreifen.

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