Zunächst füllten die Hinterlassenschaften des MLF (Mouvement de Libération des Femmes au Luxembourg) einen Spind in den Hollericher Räumen des CID. Verpackt in fünf Umzugskartons überdauerten sie annähernd zehn Jahre in einem Kabuff, um schließlich 2006 – aus Anlass einer Ausstellung – ans Tageslicht geholt zu werden. Von nun an sträubte sich das Sammelsurium aus Akten, Streitschriften, Transparenten, Photographien und anderen Kostbarkeiten, wieder in der Versenkung zu verschwinden. Und auch die Mitarbeiterinnen des CID hatte die Neugier gepackt. Ein Hauch von MLF durchzog unsere Räumen …
Mittlerweile ist das Sammelsurium zu großen Teilen gesichtet und verzeichnet. Ein dicker feuerfester Schrank verwahrt – nun wieder sicher und ordentlich – die Zeugnisse einer bewegten Zeit.
…nicht ganz! Wie es beim Packen häufiger der Fall ist, begannen die Dinge just in dem Moment, in dem sie an den richtigen Platz gesteckt werden sollen, zu erzählen, Fragen aufzuwerfen oder sich sperrig zu zeigen. So schnell sind die inhaltlichen Hinterlassenschaften nicht wegzuräumen. Die Forderungen zur Abtreibung, zur gleichen Bezahlung, die Löcher in der sozialen Sicherung von Frauen, et cetera: Lauter Kisten, die sich nicht schließen lassen, da sie noch unerledigt sind. (s. auch die Kampagne Si je veux…)
Außerdem fanden sich in den Akten keine Informationen darüber, wie die MLF-lerinnen zur Frauenbewegung kamen, ob und wie ihr Engagement ihren Alltag veränderte und welche Nachwirkungen diese Periode noch heute für sie hat.
Die Archivmaterialien sollten deshalb durch die persönlichen Eindrücke und Standpunkte ergänzt werden und wichtige – und zum Teil noch uneingelöste – Forderungen des MLF sollten noch mal im Lichte der heutigen Zeit angesehen werden.
An drei Abenden versammelten sich deshalb die Gründerinnen, Mitstreiterinnen und Sympathisantinnen des Mouvement de Libération des Femmes im CID, um zu erzählen und die Geschichte lebendig werden zu lassen. Anders als bei einer Podiumsdiskussion oder bei einen Interview ist bei einem Erzählcafé jede eingeladen sich zu äußern, ihre Erinnerungen zu teilen, Fragen zu stellen oder auch nur zuzuhören.
Unter der Moderation von Renée Wagener schilderten die Frauen beim ersten Termin des „Erzählcafés“ (13. Dezember 2007) die gesellschaftliche Situation zur Zeit der Gründung des MLF Anfang der 70er Jahre. Sie berichteten von den Erfahrungen, die sie politisiert hatten, von den Anstößen aus dem Ausland, von ihren Vorbildern und den ersten Aktionen und Forderungen.
Die inhaltlichen Schwerpunkte und das Entstehen einzelnen Gruppierungen und Projektgruppen konnten beim zweiten Treffen am 14. Februar wieder aufgegriffen werden. Dabei ging es unter anderem um die Forderungen und Strategien zum Thema Schwangerschaftsabbruch, um die Position der Lesbengruppe innerhalb des MLF und um öffentliche Aktionen, insbesondere um das Frauentheater.
Der dritte Termin (24. April) steuerte gezielt auf die Inhalte zu, die sich dem „Verpacken“ und „Wegräumen“ verschlossen hatten. Zu den MLF-Aktivistinnen und Mitstreiterinnen waren engagierte Frauen aus der jüngeren Generation zur Diskussion geladen.
An welche alten Forderungen des MLF wollen die „Neuen“ anknüpfen, fragten wir, und welche finden sie überholt? Wie sehen die Aktivistinnen des MLF die heutigen Diskussionen?
Die Teilnehmerinnen des dritten Erzählcafés wurden zu Beginn des Abends um ihre „Tops und Flops“ gebeten: Einhellig war die Begeisterung über die engagierten Powerfrauen, die die Bewegung initiiert hatten und vorantrieben, über die Eigeninitiative und die basisdemokratische Ausrichtung der Bewegung. Positiv wurden die Fortschritte im Bereich der Rechte der Frauen und des Mentalitätswandels bewertet.
Insgesamt überwog die Auffassung, dass der Marsch in und durch die Institutionen wichtig und richtig war, und dass viel erreicht wurde mit der Einrichtung des Chancengleichheitsministeriums, mit Frauen- und Mädchenhäusern, mit Crèchen und Beratungsstellen.
Gleichzeitig kam – als „Flop“ – aber auch das Unerledigte zur Sprache, so die fortdauernde Beschränkung des Rechts auf Abtreibung, die anhaltend niedrigeren Löhne von Frauen, das Fortbestehen von sexualisierter Gewalt im öffentlichen und privaten Raum und die Mehrbelastung von arbeitenden Müttern. Aus der gewerkschaftlichen Ecke kam der Hinweis, dass Frauen am Arbeitsplatz wieder stärker in die Defensive gingen.
Als besonders schwerwiegend stuften die Diskutantinnen schließlich die sich verschärfenden Schönheitsnormen ein.
Am meisten mangelt es zurzeit am politischen Subjekt – nicht nur CID und CNFL würden sich über „Nachwuchs“ freuen. Die durchrationalisierte Arbeitswelt lässt jedoch wenig Platz für politisches Engagement und alternative, feministische Lebensentwürfe. Mehr noch fehlt oft der gemeinsame Nenner: „Wir-Frauen“ hat sich heute in viele Stimmen geteilt und für einige der Jüngeren zeigt sich der Begriff „Feministin“ in der Öffentlichkeit zu sehr mit einem Negativimage belastet, als dass sie sich voll mit ihm identifizieren könnten.
Es ist mit Sicherheit auch der Frust über die Zähigkeit der oben kritisierten Verhältnisse, der politische Aktionsformen, Demonstrationen und Flugschriften fremd werden lässt und dazu führt, dass eher mit einem ironischen Auge beobachtet wird als offen zu kritisieren.
Ob das Wissen um die Aktivitäten und Errungenschaften des MLF als Motivation dienen kann?
Wir hoffen es und lassen alle Kisten offen!
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